Im ersten Teil beschrieb ich dir, wie es dazu kam, dass ich als Value Stream Manager bei Parker Hannifin im August 2016 anfing. Jetzt erzähle ich dir von den Erfahrungen und was auch du daraus lernen kannst.
Einen Überblick verschaffen
Zu Beginn meiner Tätigkeit verwendete ich viel Zeit darauf Prozesse und Leute in meinem Bereich kennen zu lernen. Diese Erfahrungen waren unheimlich wichtig für mich. Ich konnte mir schnell ein Gefühl für die Stimmung in der Mannschaft verschaffen. Wer kann mit wem, was für Projekte sind gerade am laufen, was sind verbrannte Wörter?
Das Thema 5S zum Beispiel hatte nur negative Assoziationen geweckt. Anscheinend hatte das vorherige Management 5S ohne Sinn und Verstand angewendet und so sind Vorrichtungen, die nicht regelmäßig gebraucht werden, nicht nur aus der Linie entfernt worden, sondern gleich ganz entsorgt worden. So kam es im Nachgang immer wieder vor, dass Aufträge für Besondere Produkte nicht montiert werden konnten, da diese Vorrichtungen nicht mehr zur Verfügung standen.
Während der Einarbeitung selber mit Hand anzulegen, war wohl das Beste, das ich tun konnte. So sahen zum einen die Mitarbeiter in mir einen Manager, der nicht nur quatscht, sondern auch zuhört und sich wirklich für die Arbeit interessiert und diese auch macht. Ich konnte so schnell gute Beziehungen aufbauen.
Gleichzeitig war das auch einer meiner größten Fehler, die ich in der Zeit gemacht habe. Undzwar in den Bereichen, in denen ich nicht intensiv mitgearbeitet hatte.
Während ich fast eine Woche in der Montage verbrachte und dort wirklich viel anpacken konnte, war ich nur 2 Tage in der Mechanischen Fertigung und auch nur 2 Tage in der Produktionsplanung.
Dies kam ganz klar daher, dass ich als ehemaliger Montageplaner, viel von Montage verstand und mich dort wohl fühlte. Die anderen Bereiche waren mir fremd und ich konnte nicht viel beitragen, wie man diese Prozesse verbessern hätte können.
Dabei ging es zu dem Zeitpunkt noch gar nicht um Verbesserung, sondern um das Lernen der Prozesse. Ich hätte gerade in die Prozessen, die ich weniger kannte, mehr Zeit investieren sollen.
Dies war ein sehr großes Learning für mich.
Treiben vs. getrieben werden
Die darauf folgende Zeit beinhaltete eine steile Lernkurve. Ich kam ja aus einer Tätigkeit, in der ich sehr stark strategisch und projektorientiert gearbeitet hatte. Auf einmal musste ich nun das operative Tagesgeschäft steuern. Diese neue Erfahrung war zu Beginn überwältigend, was dazu führte, dass ich zunächst gar nicht in Richtung Verbesserungsprojekten arbeitete.
Parker hat ein sehr starkes Shopfloormanagement aufgebaut, dass einem als Führungskraft hilft, schnell den Zustand des eigenen Bereiches zu verstehen. Jede Montagezelle hat ihr eigenes Zustandsboard und jeder größere Bereich sein eigenes Teamboard mit den entsprechenden Kennzahlen (Sicherheit, Qualität, Liefertreue, Produktivität).
Diese Teamboards werden dann wiederum auf einem Value Stream Board aggregiert und die Zahlen täglich mit dem Management besprochen.
Ich habe mir schnell angewöhnt regelmäßig bei den Teambesprechungen dabei zu sein, um nicht nur die Probleme der Mannschaft mitzubekommen, sondern auch ein bisschen die Stimmung.
Zu viel auf einmal
Leider bin ich in die typische Falle getappt, wenn man sich der Probleme annehmen will, die einem die Mitarbeiter schildern. Man nimmt viel mit, aber es wird immer mehr und man merkt, dass es an der Umsetzung hapert.
Irgendwann wusste ich gar nicht mehr, welches Problem ich jetzt priorisieren sollte. Es kamen Anfragen von den Mitarbeitern und natürlich auch von der Geschäftsleitung. Was war nun wichtiger?
Ich muss zugeben, dass ich es erst zum Schluss geschafft habe, Probleme mittels Paretos oder anderer Tools zu klassifizieren und zu priorisieren. Erst als ich eine Idee hatte, wohin der Bereich gehen sollte, was seine größten Probleme waren und welche Herausforderungen wir das Jahr angehen wollten, konnte ich auch sinnvoll die vielen kleinen Probleme einordnen.
Die Probleme lösen, wo sie entstanden sind
Die einzige andere sinnvolle Lösung, die mir in der Zeit für die vielen kleinen Probleme eingefallen ist, ist diese bei dem zu belassen, der sie gemeldet hat. Häufig war es nämlich so, dass Mitarbeiter mir ihre Probleme aufgeladen haben, obwohl sie es selbst hätten lösen können. Sei es ein verlorenes Werkzeug, das nachbestellt werden muss, oder ein Logistiker, der ein Teil an den falschen Platz gestellt hatte. Das waren alles Probleme, die die Mitarbeiter selbstständig hätten lösen können und dürfen.
Sie waren nur vorher nicht dazu befähigt worden, da die vorangegangenen Führungskräfte immer alles selbst machen mussten und Mitarbeiter für Dumm hingestellt haben, wenn diese etwas selbstständig gelöst haben.
Aus dieser Erfahrung habe ich gelernt, dass man so schnell wie möglich seine Mitarbeiter befähigen muss, selbstständig zu arbeiten. Ein befreundeter Werkleiter hat mir den Rat gegeben: „Immer wenn ein Mitarbeiter mit einem Problem zu dir kommt, frag nach seiner Lösung und dann lass ihn machen.“
Hierzu gibt es eine ganze Führungsphilosophie des „intend based leaderships.“ Diese Art der Führung wird vom Berater und ehemaligen U-Boot Kapitän David Marquet propagiert. Sein Buch „Turn the ship around“ (deutsche Fassung ab Mai 2020) ist eines meiner Lieblingsbücher zum Thema Führung und eines, dass ich mindestens einmal im Quartal lese.
Value Stream Management hilft bei der Strategie
Ein weiterer wichtiger Punkt war für mich, schnell einen Blick über die Abteilung zu bekommen, die strategische Ausrichtung zu verstehen und ein eigenes Zukunftsbild – eine Vision – zu gestalten, damit man eine Richtung hat in die man gehen will und die einem hilft, Projekte und Probleme richtig zu priorisieren.
Wie ich diese Vision mittels Value Stream Management entwickelte und in die tägliche Arbeit integrierte, erzähle ich dir in Teil 3.