In Teil 1 meiner Reise in die Lähmschicht und zurück, habe ich Dir beschrieben, wie es überhaupt dazu kam, dass ich als Value Stream Manager bei Parker Hannifin anfing und welche Überzeugungen ich zum Thema Teamarbeit im Lean Umfeld mitbrachte.
In Teil zwei beschrieb ich wie mich das Tagesgeschäft eingenommen hatte und was für Möglichkeiten ich leider erst zum Ende meiner Zeit anwendete, um dort wieder raus zu kommen. Insbesondere das „intend based Leadership“ Modell hat mir dabei sehr geholfen.
Der Wertstrom gibt alles vor
Alles was ich dir bisher beschrieben habe, kann man ja mit einem „normalen“ Produktionsleiter vergleichen. Aufträgen hinter-herspringen, Leute einteilen, gucken, dass die Maschinen laufen und sich darum kümmern, dass immer genug Material da ist, um zu produzieren. So weit nichts besonderes.
Nun war ich aber als Value Stream Manager eingestellt worden. Diese Rolle wollte und sollte ich anders Leben als ein „normaler“ Produktionsleiter.
Zum einen musste, ich mich auch in die Belange des Einkaufs, Logistik und Entwicklung einmischen, wenn es meinen Value Stream betraf, zum anderen musste ich mir Gedanken über die strategische Ausrichtung meines Value Streams machen.
Vom Problem her denken
Zunächst musste ich erstmal feststellen, was das Problem meines Value Streams war. Waren es Bestände, zu hohe Kosten, veraltete Produkte, etc?
Hierfür half ein erster Blick in das Value Stream Statement. Am Ende nichts anderes, als eine Form der Gewinn und Verlust Rechnung, die allerdings bezogen auf den Value Stream formuliert war.
Man konnte sehen, dass wir auf der einen Seite unter starkem Druck waren, die Produktivität zu verbessern und auf der anderen Seite die Lieferanforderungen unserer Kunden erfüllen mussten. Um dir das besser zu erklären, möchte ich dir kurz zeigen, was genau wir gefertigt haben:
Mein Value Stream war für die sogenannten Kolbenstangenzylinder in unserem Werk zuständig. Diese reichten von kleinen Kurzhubzylindern in den größen 20X30X20mm bis hin zu großen Zugstangenzylindern mit einem Durchmesser von 250mm und guten 3000mm Länge. Diese Zylinder mussten alle zunächst durch eine mechanische Bearbeitung, um dann anschließend in mehreren, produktspezifischen Montagezellen montiert zu werden. Mein Hauptprodukt war der P1F Zylinder. Praktisch genau das, was man sich landläufig unter einem Pneumatikzylinder vorstellt. Diesen konnte unser Kunde in 7 unterschiedlichen Durchmessern und in einer länge von 32mm bis 3200mm bestellen. Das heißt ca. 22176 unterschiedliche Varianten, alleine nur durch die Geometrie. Jetzt kommen noch unterschiedliche Varianten für verschiedene Einsatzgebiete und untersschiedliche Anbauten hinzu und wir sind schnell bei über 200.000 Varianten.
Dieser Zylinder ist also ein kundenindividualisierbares Produkt. Dennoch ist es für den Kunden einfach ein „0815“ Zylinder, den er bestellt. Das wird ja wohl innerhalb von einem bis zwei Tagen lieferbar sein. „Das ist doch Lagerware.“
Ist es auch, die gängigsten Größen, haben wir bei uns in unserem Lager vorrätig gehalten, um den Kunden einen Tag Lieferzeit zu gewährleisten. Dieses Lager kostet aber. Da in dieser Produktkategorie, Preis und Qualität praktisch gesetzt waren und alle Anbieter ähnlich gut waren, war die Lieferzeit und die Lieferfähigkeit das entscheidende Kriterium.
Wie gesagt, hatten wir einen Lagerbestand für diese Zylinder angelegt. Im Value Stream Statement, konnte ich aber gut sehen, was für Kosten wir dadurch verursachten und dies war ein großer Hebel für die profitabilität dieses Produktes. Hinzu kam, dass der Vertrieb uns immer wieder bestätigte, dass wir einen ungeheuren Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenten hätten, wenn wir nicht nur die gängigen Zylinder, sondern alle Zylindervarianten innerhalb eines Tages liefern könnten.
Das Ziel wird klar
Somit war das Problem des Value Streams klar. Die Kosten durch Vermeidung von Lagerhaltung (inkl. der dafür notwendigen administrativen Prozesse) reduzieren und den Marktanteil durch Erfüllung der Kundenwünsche stärken. Das ganze konnte umgesetzt werden mit einer einzigen Maßnahme: Value Stream Design mit einer Zieldurchlaufzeit von einem Tag!
Mit diesem Ziel konnten wir nun einen neuen Value Stream designen. Was viele nämlich beim Value Stream Mapping vergessen, ist, dass es nicht um das Aufnehmen des aktuellen Value Streams geht, sondern, um die Gestaltung eines zukünftigen. Am Ende ist es das typische Vorgehen mit PDCA oder Kata: Sollzustand definieren, IST-Zustand kennen (mappen) und Stück für Stück die Hindernisse angehen.
Genauso haben wir es auch gemacht. Während eines großen Workshops mit Unterstützung aus der Zentrale in den USA, haben wir einerseits den aktuellen Wertstrom aufgenommen und einen neuen Wertstrom aufgemalt, der die Ziele schnelle Kundenauftragsdurchlaufzeit bei geringen Lagerbeständen erfüllte. Gleichzeitig gibt es bei Parker (analog zum Lehrbuch für Value Stream Mapping: Sehen Lernen) noch die Vorgabe die „8 Lean Kriterien“ im Future State Value Stream anzuwenden, die da wären:
- Verwendung von Takt Zeit
- Vernünftige Finished-Goods Strategie
- Kontinuierlicher Fluß
- FIFO
- PULL-Produktion, wo kein Fluß möglich
- Wo ist der EINE Pacemaker prozess, an dem eingetaktet wird?
- Produktion Nivellieren mittels EPEI
- Welches Intervall der Auftragsfreigabe (Pitch) gibt es?
Meiner persönlichen Meinung nach, ist das total unnötig, da man sowieso auf die Themen kommen würde, wenn man die Zielstellung von kurzen Durchlaufzeiten erreichen will. Aber auf der anderen Seite, gaben uns diese Kriterien noch Hinweise auf „Blinde Flecken“, an die wir im Design-Prozess nicht geachtet haben.
Ein schönes Bild ist noch kein Ergebnis
Der unterschied bei Parker zu vielen anderen „Lean Transformationen“, die ich bisher begleiten durfte, ist, dass es mit dem Value Stream Workshop nicht aufhört.
Häufig ist es doch so. Mit viel Aufwand, werden die ganzen Verantwortlichen, die so ein Value Stream betrifft zu einem Workshop eingeladen. Man nimmt Daten auf und malt fast einen ganzen Tag lang am IST-Zustand. Dies sollte eigentlich keine Stunde dauern, aber meistens gibt es ja Diskussionen warum dieses und jenes ja nicht der Realität entspräche. Hier gilt es hart zu sein und zu sagen, was gesehen wurde, wird auch dokumentiert.
Dann wird – auch wieder mit viel Diskussion – ein Future State erstellt, es werden Aufgaben Pakete geschnürt und Aktionslisten geschrieben und einem armen „Lean-Manager“ wird die Aufgabe übergeben. Der wichtigste Teil ist ja gemacht, jetzt muss nur noch umgesetzt werden. Spätestens nach 2 Monaten liegt das ganze Projekt brach, weil keiner mehr Zeit hat für den kram.
Kleine Schritte führen zum Ziel
Dies war bei Parker anders. Als erstes gab es keine Stabs-stelle, die sich um die Transformation kümmern musste, sondern den Value Stream Manager. Dessen vorrangige Aufgabe war es, die Kunden zu bedienen und seinen Value Stream wirtschaftlich zu machen. Also war ihm auch an der Transformation seines Value Streams gelegen.
Ein weiterer wichtiger Teil, wie wir solche Projekte geführt haben, war die regelmäßige Value Stream Board Besprechung, die ich Dir im nächsten Teil dieser Serie vorstelle.