Jeder Student der Wirtschafts- oder Ingenieurswissenschaften kriegt eingebläut sich nur auf ZDF zu verlassen. ZDF steht hierbei für:
- Zahlen
- Daten
- Fakten.
Auch ich denke, dass es wichtig ist, diese Elemente zu berücksichtigen und nicht alles aus dem holen Bauch heraus zu entscheiden (wobei die Intuition manchmal bessere Ergebnisse erzielt, als rational herleitbare Entscheidungen).
Was ich jedoch als kritisch erachte, ist die Tendenz vieler Manager sich komplett auf Zahlen und Daten zu verlassen, um ihre Entscheidungen zu treffen.
Ein Beispiel bieten die Auszählungen der US-Präsidentenwahl des Jahres 2000 als George W. Bush mit 47,9% der Stimmen die Wahl gewann, ob wohl sein Konkurrent Al Gore 48,4% der Stimmen auf sich vereinnahmen konnte. Diese reinen Daten ohne jegliche Interpretation und Hintergrundwissen über die Wahlordnung der USA, hätten zu der Aussage verleiten können, dass Al Gore der legitime Präsident wäre. Erst durch die Kenntnis des US-Wahlsystems mit seinen Wahlmännern war es dem Betrachter möglich, zu bestimmen welcher der Kandidaten die Wahl gewonnen hat.
Zahlen und Daten können nur mit den richtigen Hintergrundinformationen interpretiert werden. Viel zu viele Manager glauben aber, anhand von Daten, die sie aus einem Computer System erhalten, alle Informationen zu haben und entsprechende Entscheidungen zu treffen.
Das Philosophie des „Genchi Genbutsu“ fordert sich ein umfassendes Verständnis Problems oder einer Frage durch unmittelbare Beobachtung des Prozesses zu verschaffen. Es reicht nicht aus, sich Zahlen und Daten oder auch Aussagen zu einem bestimmten Problem anzusehen. Viel mehr musst du vor Ort (genba) gehen, dir den Prozess genau anschauen (in allen Variationen, die auftreten können) und wirklich verstehen wollen, wie der Prozess funktioniert und warum ein Problem auftritt.
Das wohl bekannteste Beispiel für genchi genbutsu in der Lean community ist die Entwicklung der zweiten Generation des Toyota Sienna, ein in für den Markt der USA gebauter Van. Als der Chief Engineer Yuji Yokoya die Aufgabe erhielt, den Entwicklung der zweiten Generation des Modells zu leiten, bat er seine Vorgesetzten sich den Markt und die Kunden des Models genauer ansehen zu können. Ihm war klar, dass die Anforderung an ein Auto auf dem amerikanischen Markt andere sind, als die für ein japanisches Modell.
Er flog daraufhin in die USA und mietete sich das aktuelle Modell des Sienna an und begab sich auf Erkundungstour durch alle 50 Staaten der USA, durch alle Provinzen Kanadas, sowie alle Bundesstaaten Mexikos. Er sprach mit Kunden, Taxifahrern und Werkstätten über ihre Erfahrungen mit dem Modell. Bei seinen Fahrproben stellte er fest, dass der hochgewachsene Van eine bessere Seitenwindstabilität und gleichzeitig einen besseren Wenderadius benötigte, beides eher konkurrierende Ziele. Des Weiteren stellte er fest, dass amerikanische Familien zum Teil in Ihrem Auto „lebten“. Sie aßen in ihren Autos, hatten teilweise mehrere Getränke pro Person (Kaffee und Wasser/Cola) gleichzeitig auf und benötigten Abstellplätze hierfür. So bekam die zweite Generation viele Abstellflächen für Becher, Tabletts und viele versteckte Einbuchtungen für zum Beispiel Spielzeug der Kinder.
Durch diese eigenen Beobachtungen vor Ort konnte Yokoya die Bedürfnisse der Kunden viel besser einschätzen und seine Entscheidungen die Konstruktion betreffend besser treffen. Gerade die Erkenntnisse zu Seitenstabilität und Wenderadius ermutigten ihn, unermüdlich an einer Lösung zu arbeiten, die beidem gerecht wurde. Hätte er diese Erfahrungen nicht gemacht und sich nur auf Aussagen und Daten der Marktforschung stützen müssen, hätte er wahrscheinlich eine Entscheidung zu Gunsten einer der beiden Probleme getroffen.
Genich genbutsu ist eines der wichtigsten Prinzipien eines Lean Management Systems. Vertraue nicht auf Aussagen Dritter. Mache dir selbst ein Bild der Situation und versuche sie wirklich grundlegend zu verstehen (nicht nur durch einen Bundesstaat fahren, sondern durch alle 50).